Zwei Tage nach Ende des Kinokongresses drängen sich mir Nachbetrachtungen auf.
Erstens: Supersache, dass das Abschlusspanel, das unter dem Motto „gemeinsam“ stand, im völligen Dissens endete. Ich glaube es hilft viel mehr, Unterschiede zu benennen anstatt eine Einigkeit zu fordern, unter der jeder Branchenteilnehmer etwas anderes versteht. Freudig habe ich den rosa Elefanten namens „Spielverpflichtung“ begrüßt, der sich zuvor in einem Dutzend – übrigens sonst hochinteressanter – Panels und Vorträge versteckt hatte, aber in jedem Einzelgespräch mit Kinobetreiberinnen seinen Rüssel nach vorne streckte. Wenn es um die Zukunft des Filmtheaters geht, wo ist dann eigentlich das Panel, auf dem ein Produzent, ein Major-Verleiher, ein großer und ein kleiner Kinobetreiber sitzen und Notwendigkeit und Alternativen des Spielverpflichtungsmodells diskutieren? Dann würde sich vermutlich zeigen, dass mehr Flexibilität für die Kinos nicht ohne ein zugleich höheres Risiko zu haben wäre. Aber wir würden zumindest endlich mal drüber sprechen. Wir würden festhalten, dass bei horribilen 37% Reichweite der deutschen Kinos mindestens zwei Drittel der Bevölkerung sich für kein Kino interessiert, dass drei oder vier Wochen lang nix anderes als ein und dasselbe Actionspektakel für eine enge Zielgruppe zeigt.
Zweitens: Die Masse der Kinobetreiberinnen ist von einer aus der Zeit gefallenen Produktfixierung beseelt. Bei einer Verleiher-Tradeshow ist das Auditorium zum Bersten gefüllt, geht es um Betriebskonzepte, sinnvolle Investitionen und Kundenansprache finden sich vier Handvoll zusammen. Dabei ist das bald schon ubiquitär erhältliche Produkt „Film“ für zukünftige Geschäftsimpulse belanglos. Das ist so, wie wenn ich eine Leitungswasser-Bar eröffne und mich hauptsächlich für eine Verkostungsaktion der Stadtwerke interessiere. Konsequenz: Der Ort „Kino“ ist kaufentscheidend, der eigentliche Film lediglich in zweiter Reihe. Dass auch der geilste Laden kein minderwertiges Produkt verkaufen kann, bleibt allerdings weiterhin eine Binsenweisheit. Unser Problem sind aber momentan nicht schlechte Filme.
Drittens: Ich diagnostiziere in der Branche beginnenden Datenfetischismus. Seltsamerweise, ohne dass im großen Umfang überhaupt verwertbare Daten der Kinogängerinnen erhoben, geschweige denn genutzt werden. Keine Frage, ein Filmportal das aussähe wie der Onlineauftritt von Amazon wäre schon ein von potenziellen Kunden geschätzter Knaller (btw: warum verkauft Amazon eigentlich keine Kinokarten?). Und zu wissen, welche Art von Leuten denn so sein Kino besucht, wäre für einen Betreiber äußerst hilfreich. Aber bitte: Hört auf, den Kunden als passives digitales Wesen zu betrachten! Kein Algorithmus wird so gut sein, als dass er durch unpassende Empfehlungen nicht in etwa genauso viele Kunden verärgern wie mit Treffern andere erfreuen würde. Es ist wunderbar, wenn im Kopf des Kino-Newsletters der Film auftaucht, der den Empfänger am meisten interessiert. Aber der Newsletter eines Kinos, das nur einmal im Jahr aufgesucht wird, wird gar nicht erst gelesen. Die Kunst liegt darin, bei den Menschen ein aktives Interesse an der Abspielstätte zu generieren. Oder so gesagt: Mit pickeliger Bierwampe und uncharmantem Wesen kriege ich die Flamme meines Herzens nicht damit rum, dass ich ihr online mitteile, wie gut ich im Bett bin. Get sexy, then go hunting!
Ums festzuhalten: Es gibt einige richtig toll geführte Kinos in Deutschland. Aber nicht genug, damit die ganze Branche geliebt wird.